Es braucht mehr Takte und Melodien im Musikantenstadel der Fotografie. Der Feature-Fucking-Blues…

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Ich hatte leider keine Gelegenheit dieses Jahr selbst auf die Photokina nach Köln zu fahren. Das bedauere ich sehr, da ich gerne Freunde und Partner getroffen hätte, die ich im Laufe der letzten Jahre durch meine Fotofuzzy-Treffen, meine Taschenfreak und Stativfreak-Bloggerei kennengelernt habe. Mein persönlicher Grund zum Besuch dieser Messe wären zwei Gründe:

  • Menschen treffen und Netzwerken
  • Bilder anschauen und inspirieren lassen

Der eigentliche Grund dieser Messe, Neuigkeiten aus der Produktwelt unter die Leute zu bringen und den Konsum anzukurbeln, wären mir dabei völlig gleich. Nun, leider hat es nicht geklappt dieses mal, war anders geplant, ist aber eben so. Dennoch habe ich in den letzten Tagen viel Live-Streams gesehen, Blogpostings gelesen und Diskussionen mitverfolgt rund um die Photokina. Gestern Abend las ich dann von Tomaso – für mich einer bodenständigsten und bedeutsamsten Fotografen der aktuellen Zeit – den folgenden Post auf Facebook:

Darüber habe ich lange nachgedacht – sehr lange sogar. Das die Messe und die Hersteller Kunden braucht die am besten wöchentlich neue Kameras und Technik kaufen, ist klar und völlig nachvollziehbar. Ich bin ja (leider) selbst allzu oft auf Messen wie der Hannover Messe, der CeBIT und anderen. Aber was braucht die Photokina? Was braucht die Fotoindustrie?

Ich glaube die Fotoindustrie könnte sehr viel von der IT-Industrie lernen

Weg vom Feature-Fucking. Wenn von den technischen Specs. Weg vom Preis. Die IT-Industrie hat sich vor Jahren beinahe selbst das Genick gebrochen, als fast alle Hardware Hersteller bei eindeutig vergleichbarer Technik sich einen erbitterten Preiskampf geliefert haben und sich nach kurzer Zeit gewundert haben, dass man für 299 Euro bei einem Notebook und dessen Marge seine Tausendschaften an Mitarbeitern nicht mehr artgerecht entlohnen kann. Die Folge sind bei nahezu allen Hardware-Herstellern alljährliche Mitarbeiterreduzierungen. Es war eine schmerzhafte Lernkurve, die man fliegen musste, um zu erkennen, dass Feature-Fucking und Preis-Dumping schlechte Lösungen sind, sich und seine Produkte zu verkaufen. So langsam kapiert es die IT-Industrie und geht das Thema vom Service und von der Lösung her an. Die Produkte, wie Server, Notebooks, Deskbound-Systeme und Diplays rücken in den Hintergrund und man geht den Kunden eher über seine “Bedürfnisse”, eben von der Lösungs-Seite an. Was will der Kunde, der Anwender, mit der IT erreichen? Welche Geschäftsprozesse gilt es mit der IT abzubilden und wie kann die Lösung von Anbieter XYZ dem Kunden helfen, kostengünstiger, schneller und sicherer in die Digitalisierung zu kommen. Über das Bedürfnis des Kunden, eine Lösung produzieren und dabei seine Hard- und Software verkaufen. Es geht!

Und wo stehen wir in der Fotoindustrie?

Die Photokina hat es eindeutig gezeigt. Hersteller N bringt eine Kamera heraus mit folgenden Features und Hersteller C bringt kurz danach eine Kamera heraus die wieder die folgenden Features hat. Dann kommt der Hersteller F und bringt zwei neue Kameras, die genau das selbe können, nur beim Feature S und G etwas mehr drauf legen als bei N oder C. Dann kommt ein unterschätzter Hersteller P und macht “alles anders” – nämlich quasi gar nichts – er bringt die vielen Features nur in anderer Reihenfolge unter, wenn wir ganz ehrlich sind. Alle reiben sich am selben Brei und die potentiellen Kunden sind nur noch am nölen weil ihnen immer ein quäntchen von irgendwas aus der Feature-Fucking-Suppe fehlt. Ein nölen auf sehr hohem technischen Niveau denn alle Kameras der letzten fünf Jahre (ja ich lehne mich jetzt absichtlich so weit aus dem Fenster) können in der Hand desjenigen, der weiß was er will und was seine Kunden brauchen, tolle und brauchbare Bildergebnisse liefern.

  • Aber wo sind die Diskussionen um die Ergebnisse?
  • Wo sind die neuen Konzepte, die es dem Anwender ermöglichen effizienter zu arbeiten?
  • Wo sind die neuen visionären Ansätze die die Fotografie weiter bringen?
  • Wo sind die Lösungen der Kamerahersteller sich von den Smartphones abzuheben?
  • Wo sind Lösungen die dem Anwender helfen bessere Bilder zu machen?
  • Wo sind die Lösungen die ein schnelleres Teilen der Bilder möglich machen?
  • Wo bleibt die Kunst?
  • Wo bleiben die Galerien die die Messebesucher ermutigen neue Wege zu gehen? Neues Terrain zu betreten? Wo sind die Inspirationen?

Neue Konzepte braucht die Fotoindustrie

Ich glaube, dass die Zukunft der Fotoindustrie maßgeblich beeinflusst werden kann, wenn die Hersteller sich berappeln und Ihre genialen Produkte – und die liefern mittlerweile alle namhaften Hersteller zweifelsohne – mit Lösungen und Konzepten anreichern, die dem User helfen, besser, schneller, effizienter und sicherer zu werden. Einen kleinen Ansatz kann man bei Zeiss erkennen, die mit Ihrer neuen (zugegeben sehr hässlichen) Kamera einen neuen Weg gehen wollen. Diese bauen anstatt Speicherslots eine 512 GB SSD in die Kamera ein und implantieren eine Lightroom Mobile Lösung bereits in die Kamera. So kann der Anwender schon direkt nach dem Schuss des Bildes dieses bewerten und markieren und sogar bearbeiten und teilen. Nach dem Shooting oder nach dem Urlaub werden die Bilder in die Cloud gesichert und mit dem richtigen Rechner gesynct, wo diese dann weiter verarbeitet werden können. Kein Importieren von der Speicherkarte in den Rechner mehr nötig. Es werden dem Anwender Arbeitsschritte abgenommen. Es werden neue Änsätze gefahren. Ich will hier keine Zeiss-Promo machen, darum geht es in diesem Posting nicht – aber es geht in eine Richtung die dem Anwender dauerhaft helfen kann. Wenn er das denn will und zu lässt…

Neue Konzepte eben… und da steckt garantiert noch viel Musik im Musikantenstadel der Fototografie, weit mehr Takte und Melodien als im bekannten Feature-Fucking-Blues der letzten Jahre.

Neue Impulse brauchen die Fotografen

Weg von der Technikdiskussion- hin zur Bilddiskussion müssen wir meines Erachtens. Das schließt nicht aus sich regelm. eine neue schicke Kamera zu kaufen – warum denn auch nicht – aber bessere Bilder braucht die Menschheit und nicht den drei millionsten neuen Sensor der jetzt 1,245% weniger rauscht.

Und jetzt?

Nun gehet raus und kauft neue Kameras – die Wirtschaft braucht Euch! Smile. Ich denke der Ansatz meines Postings kam rüber. Wenn nicht, fragt einfach…

Schöne Grüße – Euer Fotofuzzy – Jörg Langer

7 Kommentare

  1. Schön geschrieben!
    Die Industrie möchte aber möglichst viele Technikaffine. Nur so kann sie ihre ständig neuen Produkte verkaufen und nicht umsonst nimmt in allen Foren der Hartware-Teil den größten Raum ein.
    Es ist ein langer Prozeß, bis man begriffen hat, daß Equipment nicht alles ist.

  2. Danke für den schön geschriebenen Artikel:) Ich war zwar auf der Photokina, aber genau das hat mir gefehlt. Getreu dem Motto “Schneller, höher, weiter” gibt es einen technischen Wettlauf um Pixel, HighISO Fähigkeiten und Autofokus-Geschwindigkeit. Aber etwas wirklich Neues? Neue Konzepte, neue Ideen? Fehlanzeige! Es erinnert mich an das Wettrüsten im PC-Bereich vor 15 Jahren. Auch hier waren Rechen-Power und Scanner-Auflösung irgendwann kein Verkaufsargument mehr…

  3. Ein sehr schöner Artikel, der mich im Handeln der letzten Wochen bestätigt.
    Ich habe verstärkt ältere Kameras eingesetzt und mit wesentlich weniger technischen Einschränkungen leben müssen, wie uns von den absatzabhängigen Herstellern suggeriert wird.

  4. “Hersteller N bringt eine Kamera heraus mit folgenden Features und Hersteller C bringt kurz danach eine Kamera heraus die wieder die folgenden Features hat. Dann kommt der Hersteller F und bringt zwei neue Kameras, die genau das selbe können, nur beim Feature S und G etwas mehr drauf legen als bei N oder C. Dann kommt ein unterschätzter Hersteller P und macht „alles anders“ – nämlich quasi gar nichts – er bringt die vielen Features nur in anderer Reihenfolge unter, wenn wir ganz ehrlich sind.”

    Zum Glück gibt es noch Hersteller L. ;)

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